Die "Filanda"
Mehr noch als in Leifers war seit etwa 1800 im benachbarten Pfatten die Seidenraupenzucht verbreitet.
Diesbezüglich darf auf den Beitrag über die Seidenraupenzucht im Dorfbuch Pfatten
verwiesen werden. Nach Beda Weber wurden um 1838 in Leifers bei 100 bis 120 Wiener Zentner
Kokons (Galetten) geliefert. Zum Vergleich: 1855/56 wurden in Pfatten 181 Zentner erzeugt.
Leifers hatte bereits 1834 einen ersten Seiden Zug, also eine Filanda. 1849 entstand eine zweite
Seidenspinnerei, die heute noch bekannte Filanda.
Doch bevor wir auf diese Filanden näher eingehen, soll zuerst der Vorgang der Seidenraupenzucht
kurz beschrieben werden.
Die erste Erwähnung dieses Erwerbs ist für Tirol aus dem Jahre 1479 für das
Klarissenkloster in Brixen bekannt. Doch dürfte dies für das späte Mittelalter
eher ein Einzelfall gewesen sein. In Trient wird die Seiden Zucht seit etwa 1540 verstärkt
betrieben, doch fand sie selbst damals bei uns noch nicht die nötige Beachtung; 1579 bewarb
sich zum Beispiel ein Handels Mann in Bozen vergeblich um die Einführung dieser Zucht.
Die offiziellen Gegenargumente lauteten: Für die Seidenraupenzucht sei Bozen ein viel
zu enges Gebiet, denn in den Weinbergen kann man den Maulbeerbaum unmöglich ziehen, und
die Auen dienen zur Weide teils für Tiere der Fuhrleute, teils für das Wild. So würde
also durch die Seidenraupenzucht die Rottfuhr oder die Jagd geschädigt.
Erst im 18. Jahrhundert beginnt der Seidenbau, vor allem bei italienischen Bauleuten, ein Nebenerwerb
auf dem Bauernhof zu werden. Für die Aufzucht der Seidenraupen braucht es das frische
Laub der weißen Maulbeerbäume, Der Anbau dieses Baumes wurde dann auch von der Regierung
gefördert.
Schon 1669 wurde ein kaiserliches Mandat über die Pflanzung des weißen Maulbeerbaumes
erlassen. Goethe sind auf seiner Italienreise 1786 die zahlreichen Maulbeerbäume südlich
von Bozen aufgefallen.
In Pfatten entstanden um 1820 Baumschulen für die Verbreitung des Maulbeerbaumes. Wie
wir im Abschnitt über die Kultivierung der Leiferer Au gehört haben, wurde bei Pacht
oder Kaufverträgen die Auflage gemacht, verstärkt den Maulbeerbaum anzupflanzen.
Der Holzhändler und Kölblwirt Jakob Erlacher pachtete 1839 einen Teil der Stadtau
für 15 Jahre. Innerhalb von vier Jahren mußten der Holzschlag und die Rodung abgeschlossen
sein, und Wiesen und Äcker mußten angelegt sein. Der Pächter mußte im
Abstand von etwa sieben Metern Maulbeerbäume pflanzen, hingegen keine Reben und keine
Obstbäume; stirbt einer der Bäume ab sofort muß er sofort ersetzt werden.
B. Weber schreibt 1838: "Die Maulbeerbäume
nehmen als sehr einträglich bei weitem die größte Sorgfalt und Vorliebe der
Besitzer in Anspruch." In den ersten Katasterplänen von 1858 sind die "Murbäume"
dann auch eigens mit einem gelben Fleck gekennzeichnet. Manche Höfe haben nicht selbst
Seidenraupen gezogen, sondern nur das Murbaumlaub verkauft, so z. B. der Holzerhof 1827, der
nach Pfatten verkauft.
Der Bauer konnte die Eier des Seidenfalters (Samen genannt) kaufen. Auf jedem Hof wurden etwa
eine bis zwei Unzen Samen benötigt (1 Unze = 33 g). Im Frühjahr zu Georgi wurde der"Samen
der Seidenraupen vor der Kirche gesegnet und dann verkauft.
Wenn im April die wärmere Jahreszeit beginnt, schlüpfen aus den Eiern die kleinen
Raupen, welche 28 bis 30 Tage lang leben und dabei große Mengen der Blätter des
weißen Murbaumes fressen. Daraufhin verpuppt sich die groß gewordene Raupe in trockenem
Reisig oder Stroh. Die fertigen Puppen oder Kokons wurden in Körben gesammelt und in die
Seidenspinnerei geliefert. Solche Filanden gab es auch in anderen Orten, wie in Tscherms, Gries,
Tramin, Auer, Margreid, zwei in Salurn, Gschnon; aber die größte Filanda stand in
Leifers.
Für eine Filanda braucht es einen einigermaßen sonnigen und luftigen Standort. Einen
ersten Plan für die Erbauung eines Seidenzuges (Filanda) hat Johann Gentili, Gutlebenwirt,
1834 beim Stadtmagistrat eingereicht. Es sollte im Erdgeschoß aus vier unbeheizbaren
Lokalen und im Obergeschoß aus einer Küche und einem großen heizbaren Saale
bestehen".' Weitere Nachrichten darueber, daß diese Filanda beim Gutleben wirklich
erbaut worden ist und betrieben wurde, finden wir noch 1867 in den Verkündbüchern
des Kuraten',am 27. August ein hl. Amt für die Seidenzieherinnen beim Gutleben".
Der Bozner Speditionskaufmann Josef Franz Mair hat am 1. April 1849 zusammen mit dem Mailänder
Anton Giorgi das Projekt einer Seidenspinnerei in Leifers zur Genehmigung eingereicht. Die
Gemeinde Leifers zweifelte keinen Augenblick, am Nutzen, welchen diese Spinnerei für die
Beschäftigungslage und die Wirtschaft allgemein in Leifers haben würde. So kauften
beide um 1200 fl. von Theres Curzel, aus dem Kalten Kellerhof, ein 561 Quadratklafter großes
Grundstück am sogenannten Ölberg (= ca. 2000 m'; vielleicht standen auf diesem Grundstück
vormals Olivenbäume, denn auch in den italienischen Quellen wird ein monte oliveto genannt)
.
Die Käufer mußten einmal ein altes Durchgangsrecht des Kalten Kellerhofes ablösen
und zum zweiten die Wasserrechte des Unterberghofes respektieren, welcher Bachwasser über
einen Waal zum Hof leitete.
Schon im Oktober 1849 war der Bau fertig. Die auf den Höfen gezüchteten Kokons wurden
in großen Körben in der Filanda abgeliefert. Als erstes wurden die Kokons in heißem
Dampf gebadet, um die Puppen zu ersticken. Ansonsten konnte aus den Kokons der Seidenspinner,
ein Schmetterling, entweichen, und dabei den Seidenfaden durchbeißen. Um den etwa 1700
m langen Seidenfaden eines Kokons abzuspinnen mußte zuerst das Ende dieses Fadens gefunden
werden. Zu diesem Zwecke wurden die Kokons in Schüsseln mit 60-901 warmem Wasser gegeben.
Der Faden wurde dann zu Strähnen abgewickelt. Bis zur Industrialisierung dieser Arbeit
wurden die Kokons direkt auf dem Bauernhof abgesponnen. Mit den ersten Filanden wurde die Arbeit
mechanisiert.
Die Filanda in Leifers bestand aus 60 Schüsseln. Die Größe einer Filanda wird
nämlich immer in der Anzahl der Schüsseln gemessen.
In jede Schüssel, meist waren es Kupfer Schüsseln, konnte man nicht mehr als einige
Handvoll Kokons geben. Das Wasser in den Schüsseln wurde mit heißem Dampf konstant
warm gehalten. Dieser wurde in einem zentralen Dampfkessel erzeugt und über Kupfer röhren
zu den einzelnen Schüsseln geleitet. Ein solcher sehr großer Dampfkessel wurde auch
im Tief Geschoß der Filanda in Leifers beheizt. Durch mechanischen Antrieb wurden Bürsten
in den Schüsseln bewegt, um das Ende des Faden schneller zu lösen. Im häuslichen
Verfahren verwendete man hierzu auch den Bart des Türggenkolbens.
Der Faden wurde über Haspeln zu Strähnen gewickelt und daraufhin gezwirnt. Haspeln
und Zwirnen wurde in den Filanden ebenso durch mechanischen Antrieb bewältigt.
Die Filanda in Leifers hatte zu diesem Zwecke, wie die meisten Filanden, einen Antrieb mit
einem großen Wasserrad. Vom Brantenbach her wurde das nötige Wasser herangeleitet.
Teile dieser Ritschen konnte der Verfasser vor einigen Jahren noch sehen. Im Tiefgeschoß
gegen Westen hin stand das riesige Wasserrad zum Antrieb von Haspeln und Zwirnmaschine. In
der Zeit vom Georgi (23. April) bis Ende Oktober mußte der Unterberghof für den
Antrieb dieses Wasserrads der Filanda das nötige Wasser überlassen.
Obwohl Mair und Giorgi den Grund zu gemeinsamem Eigentum erworben haben, hat Mair die Filanda
auf eigene Kosten von 20.000 fl. erbaut.' Nach Fertigstellung des Baues hat Mair die Filanda
samt Grund seinem Kompagnon Giorgi verkauft. 1854 hat Giorgi die Hälfte des Besitzes an
Graf Carlo Attendolo Bolognini aus Mailand verkauft.7 Die zweite Hälfte erwarb Attendolo
von Giorgi 1862.1
Die fünfziger Jahre waren wahrlich nicht gute Jahre für die Seidenraupenzucht. Eine
schreckliche Krankheit, Prebrina genannt, suchte überall die Kulturen heim. Vielleicht
hat auch das zum häufigen Besitzerwechsel der Filanda in Leifers beigetragen.
Schon 1865 hat Attendolo die Filanda dem Handels Mann Franz Tschurtschenthaler aus Bozen verkauft.
Nachdem man sich länger über den Preis nicht einigen konnte, wurde der bekannte Bozner
Baumeister Sebastian Altman als Schätzmann beauftragt; er bewertete die Filanda samt Grund
und Fahrnis auf 9900 fl.
Nach dem Ableben des Käufers 1875 erbte Karl Tschurtschenthaler. 1881 verkauften Karl
und Anton Tschurtschenthaler die Filanda den Brüdern Antonio und Luigi Giuseppe Tambosi
aus Trient. Für einige Jahre führten die Käufer Tambosi die Filanda, aber 1899
verkauften sie wieder weiter, und zwar an Anton Visentainer in Leifers. Im Kaufvertrag heißt
es, das Gebäude war früher eine Filanda, jetzt ist alles verfallen.' 1912 erwarb
die Gemeinde Leifers eine Hälfte des riesigen Gebäudes (genannt die Filandella);
bald nach dem Krieg fiel ihr auch die zweite Hälfte (genannt die Galettara) des Gebäudes
zu, da der Eigentümer Visentainer kinderlos gestorben war. Bis dahin wurde in diesem Gebäudeteil
noch die Seidenraupenzucht betrieben.
Etwa die Hälfte des Gebäudes wurde zu Wohnungen umgebaut, die andere Hälfte
wurde für die Seidenraupenzucht (= Galettara) verwendet. In den zwanziger Jahren hörte
auch dieses Gewerbe endgültig auf.
In der Filanda waren 1895 bei 150 Arbeiterinnen beschäftigt." Die Maschinen liefen
von Georgi bis Ende Oktober auch an Sonn- und Feiertagen. Am letzten Sonntag im Oktober wurde
dann "ein Amt für die Seidenjungfrauen in der Filanda gelesen." Auf den meisten
Bauernhöfen, aber auch in anderen Haushalten wie beim Handwerker und Kleinhäusler,
wurden damals Seidenraupen gezüchtet. Es genügte ein kleiner Raum mit einem Ofen
und konstanter Wärme.
Den gekauften Samen legte man in den Deckel einer Schuhschachtel und ließ die kleinen
Würmer in der Nähe eines Ofens, oft auch in der Küche schlüpfen. Mancher
Orts haben sich die Bauern selbst den Samen besorgt, indem sie den Seiden Falter aus dem Kokon
schlüpfen liessen. Das Weibchen legt daraufhin die Eier. Die Würmchen schlüpften
meist Anfang Mai aus den Eiern. Alle drei Stunden mußte ihnen frisches Murbaumlaub gefüttert
werden. Die ersten zarten Blätter der neuen Triebe des Baumes wurden abgestreift. Die
Würmchen wachsen sehr rasch und kommen schon bald in größere Schachteln. Die
Raupen machen vier mal einen Schlaf und eine Häutung durch. Bei jedem Schlaf werden sie
auf geräumigere Rahmen gebracht. Nach der zweiten Häutung kommen sie auf Mieten mit
Schilfrohr (= arelle), welche mit Zeitungspapier ausgelegt waren. Zuletzt brauchte man für
die Raupen aus einer Unze Samen etwa sechs ca. zwei Meter lange und einen Meter breite Mieten,
die Turm artig übereinander gestockt wurden. Etwa acht Tage nach dem letzten Schlaf verpuppen
sich die Raupen in Reisig oder Stroh. Die fertigen weiß gelblichen Kokons wurden beim
Einsammeln leicht geschüttelt, um darin die Puppe zu hören. Die größte
Seidenraupenzucht befand sich beim Leibelehof. Dort sieht man heute noch den riesigen mehrstöckigen
Bau, in welchem 10-15 Frauen beschäftigt waren. Die gefräßigen Würmer
mußten ständig gefüttert werden. So wurde dann auch eigens neben dem Hof eine
Kapelle erbaut, damit die Arbeiterinnen die Sonntags messe besuchen konnten; den weiten Weg
zur Kirche nach Leifers konnten sie nicht machen, sie hätten dabei die gefräßigen
Vieher zu lange hungern lassen müssen.
Verfasst von Georg Tengler und veröffentlicht im Buche "Leifers-vom Dorf bis zur Stadt" im Jahre 1998© by Raiffeisenkasse Leifers