Leifers als Teil des
Landgerichtes Bozen-Gries
Aus dem frühen Mittelalter sind für unser Gebiet nur mehr die Bezeichnungen
der langobardischen Träger der herzoglichen Gerichtsgewalt erhalten geblieben: Es sind
dies die Gastalden unddie Scbultbeiße. Letztere saßen in den befestigten
Wehrdörfer; ihnen waren Dekane und Saltner in den ländlichen Bezirken unterstellt.'
Mit der Übertragung der Grafschaft Bozen" 1027 an den Bischof von Trient bestellte
dieser fortan den Richter in Bozen, als gastaldio bezeichnet. Der Bischof bediente sich
aber zur Ausübung seiner Grafschaftsrechte der Mächtigen und Adeligen des Landes.
Im Bozner Raum sind dies im 11. Jahrhundert Verwandte der Welfen. Ihnen folgen die Grafen von
Morit. Nach dem Ende des Geschlechtes der Herren von Morit-Greifenstein 1165 hat der Bischof
von Trient die Grafschaftsrechte in Bozen den Grafen von Tirol zur Hälfte übertragen,
zur anderen Hälfte behielt er sie in eigener Hand. Die Grafen von Tirol waren schon seit
etwa 1150 Vögte des Bischofs, das heißt Schutzherren. Offensichtlich haben die Grafen
von Tirol in Bozen selbständig ihre Richter bestellt, so daß es zwischen Lehnsherrn
und Lehensträgern diesbezüglich zu Unstimmigkeiten kommen mußte. Deshalb wurde
1208 durch Befragung einvernehmlich bestimmter Zeugen Weisung gegeben: Der Richter des Bischofs
auf Schloß Firmian (ille qui est gastaldio Tndentiniepiscopi in Formiano)sollte
auch Scbultheiss, also Vertreter und Richter, des Grafen von Tirol in Bozen sein; wenn
der Gastalde und der Schultheiss einen Gerichtstag nach Bozen oder in der dazugehörigen
Grafschaft einberufen, so sollen sie alles, was sie fünfzehn Tage vor und fünfzehn
Tage nach dem Gerichtstag einnehmen, gleich teilen; von den Banngeldern,die der Gastalde
von Firmian gewinnt, sollten zwei Drittel dem Grafen und ein Drittel dem Bischof gehören.
Über Verbrecher sollte der Graf von Tirol oder sein Richter urteilen. Die Maße in-
und außerhalb der Stadt hatte der Graf zu bestimmen. Auch die Banngelder, welche
für nicht geleistete Frondienste an der Eisackbrücke (pons de Balzano) zu
zahlen waren, standen dem Grafen von Tirol zu.
Das Recht über die Brücken war also Bestandteil der zu Lehen empfangenen
Grafschaftsrechte.2 Diese gemeinsame Ausübung der Grafschaftsrechte bestand laut dem genannten
Weistum seit Bischof Adalpret (1156-1177). Die gemeinsame Gerichtshoheit hatte neben einer
inhaltlichen Trennung auch eine räumliche. Die Blutgerichtsbarkeit oder die hohe Gerichtsbarkeit
war dem Grafen vorbehalten. In räumlicher Hinsicht beschränkte sich die bischöfliche
Gewalt auf das Stadtgericht, während das Landgericht Gries und Bozen dem Grafen unterstand.
Zu diesem Landgericht gehörte auch die Malgrei oder das Viertel Leifers, welches
also dem landesfürstlichen Richter in Gries unterstand. Genauer wird diese Zugehörigkeit
auf indirektem Wege ersichtlich, weil nämlich über die Ausdehnung der Gerichtsgewalt
des öfteren die comunitasplebiumde Bauzano et Kellare genannt wird, also die Pfarrgemeinde
Bozen und Gries. Dies ersehen wir schon aus der ältesten Satzung der Gemeinde Bozen und
Gries von 1190. Leifers war eben bis in unser Jahrhundert Bestandteil der Pfarre Bozen.
Im 13. Jahrhundert werden mehrere Richter des Bischofs und des Grafen von Tirol
in Bozen und in Gries genannt.
Die eigentliche Gerichtseinteilung, welche über viele Jahrhunderte erhalten
blieb, wurde unter Graf Meinhard 11. von Tirol-Görz, welcher als der Begründer der
Grafschaft Tirol gilt, geschaffen. Der landesfürstliche Richter erhält unter Meinhard
seinen fixen Sitz in der landesfürstlichen Burg in Gries, welche im späteren dortigen
Kloster weiterlebt.
Die landesfürstlichen Richter wurden grundsätzlich auf vier verschiedene
Arten eingesetzt: entweder als Beamte oder als" Pächter" des Richteramtes oder
als Pfandinhaber dieses Amtes, schließlich als Lehenträger. Unter Meinhard II. und
seinen Söhnen waren die landesfürstlichen Richter in Gries als Beamte eingesetzt.
Der zu Amtsrecht bestellte Richter in Gries mußte seinem Landesfürsten
über seine Einnahmen und Ausgaben Rechnung legen. So sind denn auch für die Zeit
1289-1331 die Rechnungs- oder Raitbücber des Richters von Gries erhalten.
Diese Raitbücber sind eine äußerst wichtige Quelle für
unsere Landesgeschichte, weil die Richter darin für jedes Amt (officium) die jährlichen
Einnahmen an Geld und Naturalien anführen, die sie aus Steuern, Gerichtsgeldern, aber
auch aus dem grundherrlichen Besitz des Landesfürsten verrechnet haben. Desgleichen sind
auch die Ausgaben mannigfaltiger Art genau verrechnet. Die Eintragungen in den Raitbücherngeben
auch Einblick in Lebensverhältnisse am Hof des Landesfürsten sowie der städtischen
und ländlichen Bevölkerung. Darauf soll in einen anderen Kapitel noch näher
eingegangen werden.Von 1331 andürfte das Landgericht wohl verpfändet worden
sein, da die Reihe der Rechnungsbücher aufhört. Für diese Zeit ist bis zu seinem
Sturze 1348 Engelmar von Villanders Richter in Gries. Ihm folgten weitere Pfandinhaber bis
zum aufrührerischen Heinrich VI. von Rottenburg. Nach dessen Sturz hat der Landesfürst
das Landgericht Gries und Bozen wieder durch Amtsrichter verwalten lassen, welche wieder Rechnung
legen mußten. Der Amtsrichter bot für den Landesfürsten Gewähr, daß
die Einkünfte aus Gericht und Urbar abgerechnet bzw. abgeführt wurden, was bei der
Verpfändung des Gerichtes nicht der Fall war. Die, wenn auch nicht vollständige,
Reihenfolge der Landrichter ist in der Landesbeschreibung von Stolz nachzulesen.Gebiets- und
verwaltungsmäßige Umwälzungen brachten die Jahre der Tiroler Freiheitskämpfe
gegen Frankreich und Bayern. 1801 kam das Gebiet südlich von Bozen zum französischen
Besatzungsgebiet Italiens. 1803 kehrte das Unterland vorübergehend zu Österreich
zurück, wobei es dem neugeschaffenen Kreis an der Etsch zugeteilt wurde. 1806 kam unser
Gebiet zu Bayern; das Stadt- und Landgericht Bozen wurde verstaatlicht und mit den angrenzenden
Gerichten vereinigt. Der Sieg der Franzosen 1809 brachte neue Gebietsaufteilungen. 1810 kam
das Etschtal südlich von Lana und das Eisacktal südlich von Waidbruck zum französischen
Königreich Italien. Die neue Verwaltungseinheit, zu der Leifers gehörte, hießDiparltimento
Alto Adige. Leifers und Auer kamen zusammen zur Großgemeinde Branzoll. Diese wurde
damals vom Sindaco Anziano Valduga geleitet. 1813 kam es zu einer neuen Einteilung des
Diparti- mento Alto Adige: Leifers gehörte nun mit Unterau, Seit und Breitenberg
(insgesamt mit 654 Einwohnern) zur Gemeinde Bozen und diese zum Kanton Bozen; dieser bildete
einen Teil des Distriktes Bozen (STAB Kreis Amt Bozen, Bd. 150).
Nach der Rückkehr zu Österreich wurde das Stadt- und Landgericht als
Kollegial Gericht Bozen wiederhergestellt und 1849 zusammen mit den umliegenden Gerichten zum
Bezirks Gericht Bozen vereinigt. Erst mit der Neuorganisation der Gerichte war die Voraussetzung
gegeben, daß auch die Gemeinden alspolitisch-administrative Einheiten gesetzlich geregelt
werden konnten.
Das Landgericht Gries umfaßte also das Territorium der Pfarren und Gemeinden
von Gries, im Mittelalter Keller genannt, und Bozen. Ursprünglich waren die beiden
Pfarren wohl ans einer großen Markgenossenschaft (comunitas) hervorgegangen, welcheAllmendrecbte
an Weide und Wald genoß und welche fir grhßere Ai-ifgaben, wie B(ken-
und Wegebau, gemeinsam sorgte. Schon wegen der natürlichen geographischen Voraussetzungen
bildeten sich innerhalb dieser comunitas mehrere Gemeinden heraus, welche ein gewisses
Eigenleben führten. Als solche sind Gries, Zwölfmalgreien und Leifers zu benennen.
Leifers war eben von Eisack- und Etsch, von der Nordgrenze des Gerichts Enn, Lind vom Reggelberg
begrenzt.
Diese Gemeinden zerfielen ihrerseits in Viertel oder iWalgreiei7,- diese
Aufgliederung der Gemeinde in Malgreien oder Viertel, folgte wiederum bestimmten gemeinsamen
Voraussetzungen der in einem bestimmten Gebiet liegenden Höfe für die Nutzungsrechte
sowie für die Lasten an Wasser-, Brücken- und Straßenbauten. Die Malgreien
Bozens werden 1486 erstmals als Zwölfmalgreien genannt.
Zu Leifers heißt es schon 1331: -Leifers liege in dem Gericht zu Gries"."
Herzog Leopold spricht 1383 bezüglich der Gerichtsbarkeit von Bozen bei deren Einteilung
vom "Leiferer Viertel,.
Auch Leifers zerfiel in vier Viertel, nämlich Leifers, Au (auch Unterau oder
St. Jakob in der Au), Seit und Breitenberg. Der Ausdruck Malgrei ist hier nicht üblich.
Der landesfürstliche Landrichter von Gries hatte also über die Leute
von Leifers Recht zu sprechen; er übte nicht nur die niedrige Gerichtsbarkeit aus, sondern
auch was an Hand und Hals« zu strafen war, also die Blutgerichtsbarkeit. Sehr deutlich
zum Ausdruck kommt dieser Umstand aus einem Mandat de anno 1436: Die Leute von Leifers und
Breitenberg sollen dem Landrichter zu Gries gehorsam und gewärtig sein zumMalefizrecht
und mit anderen Sachen.
Der Landrichter saß in der landesfürstlichen Burg in Gries; nach 1500
finden wir, daß der Landrichter sich auch auf das Land hinaus begab, um dort Rechtshandlungen
vorzunehmen.
Ein fester Ort für die Gerichtsverhandlungen in Leifers ist nicht auszumachen;
aus dem Jahre 1630 ist eine gerichtliche Kundschaft erwähnt, die vor dem Brunnentrögl
bei der Kircben aufgenommen wurde (siehe Pfleg).
Der Vertreter des Richters in gerichtlichen Angelegenheiten heißt Anwalt.
Die Gerichtsanwälte hatten in ihrem Gemeindeviertel Aufgaben der Erhaltung der öffentlichen
Ordnung, der freiwilligen Gerichtsbarkeit, der Aufrichtung von Verträgen, Erbschaftsabhandlungen,
Inventuren etc., sie sind also in etwa mit dem heutigen Friedensrichter zu vergleichen. Das
Amt des Anwalts scheint nach einer bestimmten Reihe, ähnlich wie jenes des Kirchpropstes,
von den Hofinhabern getragen worden zu sein. 1691 ernannte der Landrichter den Peter Preit,
Burger, zum neuen Anwalt: Er mußte den Richter vertreten, auf Fluch und Gotteslästerung
achten, Zigeunerund anderes lichtscheues Gesindel fernhalten.
Für den Aufenthalt von gerichtlich gepfändetem Vieh gab es in Leifers
und in St. Jakob beim Hilber einen Pfandstall.
Rechtsgeschäfte allgemein und Verträge im besonderen konnten auch vor
anderen siegelfähigen Personen abgeschlossen werden. Die Brüder Mathias und Hans
Preth am Großhaus haben am ersten Juli 1586 in Innsbruck vorn Landesfürsten Ferdinand
einen Wappenbrief mit Lehensartikel erhalten. Sie konnten also Wappen und Siegel führen.
Siegelfähig waren auch Melchior Zieglauer (Burger) um 1600 und Jakob Grumer (Hochegger).
Das Hochgericht, also der Galgen, für schwere Verbrechen stand in der Nähe
des Zusammenflusses der Talfer und des Eisacks."
Diese genannte Gliederung des Gerichtsgebietes in Gemeinde und Vierteln oder Malgreienhatte
außerdem noch für folgende Bereiche Bedeutung:
Einmal für die Abgaben in das landesfürstliehe Urbaramt in Gries. Dieses
Urbaramt dürfte wohl von Meinhard II. errichtet worden sein. In jenen Gerichten, in welchen
der Landesfürst auch grundherrliche Einnahmen zu beziehen hatte, wurden jeweils ein oder
mehrere Urbarämter errichtet. Diese Einrichtung finden wir auch bei anderen größeren,
vor allem geistlichen Grundherrschaften. So hatte z. B. das im Bozner Raum begüterte Reichsstift
St. Ulrich und Afra in Augsburg in Bozen ein Amtshaus, desgleichen die Grafen von Liechtenstein.
Der Landesfürst war hier also zugleich Inhaber der gerichtsherrlichen, wie
auch weitgehender grundherrlicher Rechte. Aus diesem Grunde können hier diese beiden Bereiche
mit gutem Grunde im selben Kapitel behandelt werden.
In das landesfürstliche Amt zu Gries hatten des Landgerichtes undim speziellen
Fall jene von Leifers ihre Abgaben zu liefern, über welche der Landesfürst Grundherr
war. Eine erste Aufzählung dieser Höfe entnehmen wir dem landesfürstlichen Urbar
von 1288. Dem Landesfürsten zinsen Güter in Leifers und auf Breitenberg. Laut Zingerles
Edition" sind es folgende Güter:
Der Brunnicher auf Breitenberg, Heinriches Hof auf Hochegg, des WigandsHof,
der Wald zu Liechtenstein, der Aichnerhof, zwei Weingüter, ein Acker zu Coi(Gob?).
Die schon genannte territoriale Gliederung des Gerichtes in den Gemeinden Gries,
Zwölfmalgreien und Leifers hatte außerdem auch für die Steuereinhebung Bedeutung.
Verfasst von Georg Tengler und veröffentlicht im Buche "Leifers-vom Dorf bis zur Stadt" im Jahre 1998© by Raiffeisenkasse Leifers